Reformbedarf in der Privaten Krankenversicherung: Experten fordern Transparenz und verbindliche Standards

Die Private Krankenversicherung (PKV) steht zunehmend unter Druck, grundlegende Reformen umzusetzen. Während die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag keine Abschaffung des dualen Gesundheitssystems plant, wird die PKV mit wachsender Kritik an ihrer Tarifgestaltung, ihrem Leistungsverhalten und ihrer Vertriebstransparenz konfrontiert. Claus-Dieter Gorr, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Premium Circle Deutschland, hat in einem Strategiepapier konkrete Reformvorschläge formuliert, um die PKV zukunftsfähig zu machen.

KKZ-Überblick

  • Tarifgestaltung: Forderung nach einem einheitlichen Leistungskatalog und transparenter Darstellung der Leistungen.
  • Leistungsverhalten: Kritik an der möglichen Willkür bei der Prüfung medizinischer Notwendigkeit; Vorschlag eines verbindlichen Gutachtenverfahrens.
  • Vertrieb: Mehr Realismus im Marketing und verpflichtende Zusatzqualifikationen für Vermittler.
  • Studienergebnisse: Kein PKV-Tarif erfüllt alle 104 Mindestleistungskriterien der GKV.

Tarifgestaltung: Unübersichtliche Struktur und Leistungslücken

Die Tarifwelt der PKV umfasst laut einer Analyse von Premium Circle aktuell 1.900 unterschiedliche Leistungsaussagen. Dieses dreigliedrige Vertragswerk mit wiederkehrenden Ein- und Ausschlüssen ist selbst für Experten schwer verständlich. Unter den Top-Tarifen der PKV gibt es erhebliche Leistungsunterschiede, die teilweise existenzielle Lücken aufweisen. Besonders problematisch ist, dass kein einziger PKV-Tarif die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vollständig abdeckt – auch nicht der Basistarif.

Premium Circle fordert eine Reform von § 193 VVG (Versicherungsvertragsgesetz), um einen rechtsverbindlichen, brancheneinheitlichen Leistungskatalog als Basis für jeden PKV-Vertrag zu schaffen. Dieser Katalog soll die Transparenz erhöhen und den Versicherten eine klare Übersicht über die vertraglich garantierten Leistungen bieten.

Leistungsverhalten: Kritik an der Prüfung medizinischer Notwendigkeit

Ein zentraler Kritikpunkt ist die individuelle Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit durch Sachbearbeiter der Versicherer. Obwohl PKV-Versicherte faktisch Zugang zur Hochleistungsmedizin haben, hängt die Erstattung von Leistungen stark von internen Entscheidungen ab. Es gibt keine einheitliche Datenlage zur Qualifikation der Sachbearbeiter oder zur Transparenz dieser Prozesse.

Premium Circle schlägt vor, die Musterbedingungen für Krankheitskosten (MB/KK 2009) zu reformieren. In strittigen Fällen soll ein zeitnahes Gutachtenverfahren eingeführt werden, das für beide Seiten verbindlich ist. Dies würde das Vertrauen in die Leistungsregulierung stärken und mögliche Willkür reduzieren.

Vertrieb: Realistischere Versprechen und qualifizierte Beratung

Das Marketing vieler PKV-Anbieter verspricht schnelle Termine, bessere Leistungen und umfassenden Schutz. Diese Aussagen stehen jedoch oft im Widerspruch zu den tatsächlichen Leistungen der Tarife. Premium Circle kritisiert zudem das Fehlen qualifizierter Weiterbildungsmöglichkeiten für Vermittler.

Die Forderungen umfassen eine gesetzlich verpflichtende Zusatzqualifikation für Vermittler sowie eine transparente Dokumentation bei der Beratung zu leistungsschwachen Tarifen. Zusätzlich wird eine Norm für Siegel und Ratings vorgeschlagen, um Verbraucher besser zu informieren.

Studienergebnisse: Große Leistungslücken im Vergleich zur GKV

Eine aktuelle Studie von Premium Circle hat die leistungsstärksten Vollkostentarife von 32 PKV-Anbietern mit dem GKV-Leistungskatalog verglichen. Das Ergebnis zeigt deutliche Defizite: Kein Tarif erfüllt alle 104 Mindestleistungskriterien der GKV. Die untersuchten Tarife decken zwischen 48 und 99 dieser Kriterien ab.

Besonders auffällig sind Lücken in den Bereichen Psychotherapie, Anschlussheilbehandlung, Reha und Kur, Krankenpflege sowie Prävention. Diese Defizite widersprechen häufig den Marketingaussagen, dass die PKV umfassendere Leistungen als die GKV bietet.

Forderungen nach schnellem Handeln

Claus-Dieter Gorr betont, dass ein Umdenken in der Branche dringend notwendig ist, um das Vertrauen der Versicherten zurückzugewinnen und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Juliane Winter, Rechtsanwältin für Medizinrecht, empfiehlt Privatversicherten zudem den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung, da viele Streitfälle ohne juristische Unterstützung kaum lösbar seien.

Die Kritik an der PKV zeigt klar auf, dass grundlegende Reformen erforderlich sind. Ein einheitlicher Leistungskatalog, transparente Prozesse und realistischere Marketingstrategien könnten dazu beitragen, das Vertrauen in die private Krankenversicherung wiederherzustellen und ihre Position im dualen Gesundheitssystem zu sichern.